Dienstag, 22. Februar 2011

Horizonterweiterung








Von San Antonio del Areco fuehrte unsere Strecke ueber die Ruta 7 in Richtung Mendoza. Zum Fruehstueck hatten wir kurzfristig die Hoffnung ohne Regen wegzukommen. Dann begann es zu nieseln. Was ist schon ein bischen Nieselregen? Alles nicht der Rede wert. Puenktlich zur Abfahrt hatte sich der Nieselregen in Regen und von Regen in einen echten Regenguss verwandelt. Die Entscheidung ueber die Kleidungswahl war schnell getroffen - alles an, was Wasser abhaelt. Wir hatten uns bereits auf einen nassen Fahrtag eingestellt. Doch nach der Haelfte des Tages wurde es immer weniger. Beim Mittagsstop an einer Tankstelle wollten wir die Kette der Suzuki nachschmieren. Das letzte Mal war einige Kilometer her und die grosse ueberdachte Flaeche der Tanke versprach trockenes Arbeiten. Mit einem kreaeftigen Schwups wuchteten wir die "Kleine" auf den Hauptstaender. Nachdem das Federbein immer mehr Oel verliert verwandelt sich die Suzuki immer mehr in einen echten "Lowrider". Dementsprechend hoch muessen wir das Motorrad aus den Federn heben, damit es auf dem Staender zu stehen kommt. Der Versuch der Hinterrad fuer die anstehende Oelung frei zu drehen wurde vehement durch konstanten Bodenkontakt unterbunden. Unglaeubig suchten wir nach einen Abasatz oder einem Hubbel auf der planen Betonflaeche unter dem Motorrad -aber da war nichts. Stattdessen hatte der Hauptstaender eine recht ungewoehnliche Position eingenommen. Passend zum schlappen Federbein goennte sich nun auch der Staender eine Auszeit. Die Mittelstrebe mit dem Anschlag ueberzeugte nicht mit Standfestigkeit und hatte sich wie eine zu weich gekochte Nudel verbogen. Ein schnell verfuegbares Haupstaenderviagra in Form eines Hammers, Flachstahl und Schweissgeraet war weit und breit nicht zu sehen- So entschieden wir uns mit der Funktionsstoerung zu leben und die Behandlung auf die Zeit nach der Reise zu verschieben. Der Staender haette sich ruhig ein Vorbild am improvisierten Kettenschutzhalter aus einem Kamm nehmen koennen. Dieser haelt einfach ohne Mucken. Sollte beim Knobeln neben Stein, Brunnen, Schere, Pappier noch weitere Elemente aufgenommen werden, dann schlaegt Kamm Staender - und das um Laengen. Bis zum Abend hatten wir Villa Mercedes erreicht. Doch zuvor ritten wir nach einem regnerischen und bewoelkten Tag wie Lucky Luke einem wunderschoenen Sonnenuntergang entgegen. In der Stadt angekommen suchten wir uns das naechstbeste Hotel an der Hauptstrasse. An einem Freitag Abend ist das nicht unbedingt eine gute Idee. Zunaechst hatten wir ein Zimmer nach hinten hinaus. Doch der Wirt meinte wir haetten ein Besseres verdient. Groesseres Bad und mehr Kanaele im Fernseher. Wir waren muede und uns war es egal. Zumindest in diesem Moment. Halb scherzhaft wurde uns die Empfehlung ausgesprochen uns am Treiben auf den Strassen zu beteiligen "es waere etwas laut und gegen 4:00 Uhr wuerde es aber schon leiser werden". Eben ein Zimmer in einem belebten Viertel. Das Leben war trotz geschlossener Fenster, Rollaeden und Vorhaengen ungebrochen zu hoeren. Das suedlaendische Flair ebbte bereits gegen 6:00 Uhr ab. Derweil ich mit versiegelten Ohren nur das Beben der Boxen und das Droehnen des Verkehrs als Schwingungen in der Matraze wahrnahm wollte sich Gaby keine Sekunde davon entgehen lassen. Nach so viel Party-Zimmer begann der Tag fuer Gaby etwas angeknittert. Ein Umstand, der sich aber leicht in unserem "groesseren" Bad wegwaschen lies. Ueberdies nuzte Gaby den vollen Service unserer Bleibe und reinigte das erste Mal auf unserer Reise ihre Stiefel. Da soll noch einer sagen Motorradfahrer wuerden nicht auf sauberes Schuhwerk achten. Ich fand das Ergebnis der Schuhputzmaschine eher mau und lies Gaby ein paar Umdrehungen mehr an dem Geraet. Wenn wir noch einmal die Wahl zwischen einem groesserem Bad und einer ruhigen Nacht haetten, wuerden wir vielleicht ins Schwanken geraten. Ist schon schoen, so ein Bad, bei dem die Dusche nicht gleichzeitig die Toillete spuelt. Diese Konstruktion ist weitverbreitet. Der erfahrene Reisende klappt vor dem Duschen den Deckel hoch und erspart sich so das Trockenwischen von der Sitzflaeche nach der Koerperreinigung. Ein anderes Konstruktionsspecial ist der Lichtschalter. Gut vor unfreiwilligem Zugriff geschuetzt verbirgt er sich gerne hinter der Tuer - wo sonst. Man tappt also bei Dunkelheit in das 1 1/2 Meter grosse Bad. Das allzuweite Oeffnen der Tuer wird sicher durch die Kloschuessel verhindert, welche als natuerlicher Stopper funktioniert. Der Lichtschalter befindet sich in diesem Augenblick garantiert an der unzugaenglichsten Stelle im Raum - neben der Kloschuessel, direkt am Tuerrahmen hinter der Tuer. Um an den Licht spendenen Knopf zu gelangen muss man zunaechst den Raum betreten und die Tuer schliessen. In der Dunkelheit hilft jetzt nur noch der Tast-und der Geruchssinn weiter. Direkt wo es am strengsten riecht, also neben der Kloschuessel und dem Klopapiereimer, an der Wand hinter der Tuer - dort ist er. Die Erhellung bringt nicht unbedingt nur Schoenes zum Vorschein aber es erhoeht die Trefferquote in den Klopapiereimer ganz erheblich. Da in fast ganz Suedamerika das Toilettenpapier nicht im Klo entsorgt werden darf, gibt es einen dazugehoerigen Papiereimer. Warum dieser des oefteren eher die Dimension eines Tischabfalleimers hat ist wirklich verwunderlich. Aus diesem Grund ist Licht gut, auch wenn es hinter der Tuer zu finden ist. Durch den Verlust der Spannrolle am Kettentrieb der BMW und der hohen Laufleistung rattert und knackt es deutlich hoehrbar beim Fahren. Auch Nachspannen geht nicht mehr, weil sich die Kette unterschiedlich gelaengt hat. Mit steigender Geraeuschkulisse entschloss ich mich irgendwann der Kette eine Erfrischung zu goennen. Die verloren gegangene Spannrolle ersetzte ich gegen einen abgesaegten Colaflaschenschraubverschluss. Auf einen Bolzen aufgefaedelt verhindert jetzt das Kunststoffteil ein ungehindertes Durchsacken der Kette. Eine ganz neue Form des PET-Flaschenrecyclings. Da soll noch einer sagen Reisen bildet nicht. Mit jedem Tag erweitert sich unser Horizont um die ein oder andere Erfahrung. Auch wenn ich ehrlicherweise sagen muss, das ich meinen Horizont garnicht ins unendliche erweitern moechte, zumindest was total veroelte Ketten angeht. Das letzte Mal war ich beim Aufheben einer Tasche scheinbar mit meinem Kopf in die Naehe des Gepaecktraegers gekommen. Wenig spaeter bei Essen fuhr ich mir mit den Haenden durchs Haar und hatte ploetzlich total schwarze Finger. Ein kleines fiese Dreck- Oelkluempchen hatte den Weg auf meinen Kopf gefunden und sorgte spontan fuer etwas Farbe in meinem Leben. Unser naechstes Ziel nach Villa Mercedes ist La Carolina. Dort wollen wir, wenn alles klappt einen Tag auf einer kleinen Estancia verbringen.

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